Musik der Seeleute

   Die Musik der Seeleute stammt aus den Jahren der großen Segelschiffe, hatte also ihre Blütezeit im 18. und 19. Jahrhundert. Da Großbritannien zu dieser Zeit die führende Seefahrtnation war, sind fast alle der uns heute überlieferten Shanties in englischer Sprache. Viele der damaligen Seeleute kamen aber aus anderen Nationen, so dass kein reines Englisch an Bord gesprochen wurde, sondern ein Sprachgemisch, das so genannte Pidgin-Englisch.
Mit dem Aufkommen der Dampfschiffe, und damit der Übernahme der körperlich sehr schweren Arbeiten durch Maschinenkraft, wurden diese Arbeitslieder nicht mehr gebraucht und finden heute nur noch als Folklore statt. Die Texte sind inzwischen meist „geglättet“ und dadurch etwas entschärft. Die Originaltexte waren oft mehr „gesungene Flüche“.

 

Shanties

   Der ursprüngliche praktische Zweck des Shantys als Arbeitslied stand bei den Seeleuten immer an erster Stelle. Sprachliche und musikalische Aspekte spielten dagegen kaum eine Rolle. Es war allein wichtig, dass der Shanty die Arbeit unterstützte. Der Shantyman konzentrierte sich darauf, den Arbeitstakt zu bestimmen und die Matrosen mit seinen improvisierten Texten anzuspornen und zu unterhalten. Daher war der Shantyman für die Arbeitsleistung der Mannschaft genauso wichtig wie die körperliche Arbeit der Matrosen.

   Es gibt unterschiedliche Shanties mit unterschiedlichen Rhythmen:

Eine sehr gängige Form sind die „Capstan-Shanties“ mit einem stampfenden Rhythmus für schwere Schritte. Der Capstan ist eine große Winde, mit der über die Kette der Anker aufgeholt oder die schweren Hauptsegel gehisst werden. Eine andere Arbeit, zu der dieser Rhythmus passte, war die Bedienung der Lenzpumpe (bilge pump) zum Abpumpen des Leckagewassers, das durch die niemals ganz dichten Holzrümpfe eindrang. Diese schweren Pumpen wurden von bis zu vier Männern bedient. Je nach Schnelligkeit der Arbeiten wurden auch schnellere oder langsame Shanties gebraucht.

Capstan Shanty

 

Pump Shanty

 

Long Haul- oder Halyard-Shanties sind die Gesänge, mit denen für lange Arbeiten (z.B. leichtere Segel setzen) gezogen werden musste.

Long Haul Shanty

 

Short Haul Shanties wurden zu kurzen Arbeiten mit großem Kraftaufwand gebraucht (z.B. Wechsel der Segelrichtung).

Short Haul Shanty

 

Hand-over-shanties sang man beim Ziehen von Tauen mit abwechselnd rechter und linker Hand (z.B. Durchholen von Tauen).

 

Forebitters

   sind Lieder mit erzählendem Charakter. Diese wurden abends und in der arbeitsfreien Zeit gesungen. Man saß an Deck zusammen jeder hockte sich hin, wo Platz war, auf Kisten und Kästen (Stühle gab es nur für Kapitän und Offiziere), am liebsten aber auf die pilzförmigen eisernen Poller zum Festmachen der Taue (Fore-Bits = Poller). Diese Pollerlieder beschreiben meist romantisierend das harte und entbehrungsreiche Leben auf See. Man sang sie gerne abends in der Freizeit auf den Pollern sitzend, aber auch bei bestimmten Anlässen und Ritualen, wie etwa dem Überqueren des Äquators oder des Polarkreises.

Forebitter

Auch die Homeward-bound-Shantys mit ihren erzählenden Texten von Erlebnissen und Sehnsüchten wurden meist in der Freizeit gesungen.

 

Songs of the Sea

   Viele Lieder haben aber auch mit der Seefahrt zu tun, ohne direkt auf Schiffen gesungen zu werden. Lieder vom und über das Leben der daheim gebliebenen, der Familien und der Seeleute, die aus Altersgründen nicht mehr fahren konnten gehören dazu.
Diese Lieder beschreiben oft die harte Arbeit und die Gefahren an Bord sowie die Angst der Angehörigen um ihre Männer. Auch Wehmut hört man hier und die Erinnerung an vergangene Zeiten.

 

Instrumentierung

   Auf den Schiffen selbst waren kaum Musikinstrumente zu finden. Bei der Arbeit wurde meist „a cappella“ also ohne Instrumentalbegleitung gesungen. Beim Singen der Forebitter wurden – wenn überhaupt – Fiedel und / oder Flöten eingesetzt. Gitarren waren viel zu leise, und das Akkordeon war noch nicht erfunden. Als Rhythmusinstrument diente alles, was klapperrte und schepperte. Die „Songs of the Sea“ wurden aber sehr wohl mit Instrumenten begleitet, wenn sie an Land gesungen wurden.
Wenn Instrumente dabei waren, wurde auch oft und gern getanzt. Dies taten aber nur die Matrosen – die höheren Ränge waren sich dafür „zu fein“.


Matrosentanz

 

Shanties heute

   Während in Deutschland und den umliegenden Nationen (z.B. Polen, Niederlande) Shanties heute meist als Chormusik aufgeführt werden, zählen sie in den  englischsprachigen Ländern eher zur Folkmusik und werden daher in kleinen Gruppen gesungen. Dort scheint noch die harte Arbeit durch, während die Chöre eher ins Schlagerhaft-rührselige übergehen. Die heute oft besungene Seefahrerromantik auf den alten Schiffen ist ein moderner Mythos. In Wahrheit gab es sie nie!

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